Eine weihnachtliche Geschichte. Zusammengetragen, erinnert und erzählt von Bernhard Weiland und Petra Manske. Erlebt auf einer Reise am Gambiafluss im Dezember 1999.
Die Begegnung
Es begab sich zu jener Zeit, als zwei weiße Menschen am großen Gambiafluss unterwegs waren. Sie hatten sich vorgenommen, auf ihrer Reise durch Gambia so weit wie möglich flussaufwärts zu kommen; ein Mann, B., und eine Frau, P., aus Deutschland auf ihren Fahrrädern, beladen mit dem für sie üblichen Gepäck. Für sie war es das Notwendigste. Doch in diesem westafrikanischen Land war es so viel, wie manch eine Familie nicht ihr eigen nennen kann. An jenem Tag, dem 24.12.1999, an dem diese Geschichte beginnt, suchten sie einen Weg zu einer Unterkunft, Jang Jang Burreh Camp genannt. Dieses sollte nahe einem Ort, der ihnen als Georgetown bekannt war und während der Kolonialzeit den Engländern als Umschlagplatz für den Sklavenhandel diente, liegen. Es gab kein Hinweisschild zum Camp und sie trafen niemanden, den sie nach dem Weg fragen konnten. Weit und breit sahen sie keine Gebäude, nur hohes Gras und Buschwerk. Etwas ratlos hielten sie an und beratschlagten, wie sie nun weiterkämen. Da trat ein Hund aus dem Gebüsch neben dem Weg. Er blieb vor ihnen stehen und schaute aufmerksam zu ihnen herüber. Nach kurzer Zeit bedeutete der Hund den beiden Fremden auf seine Art, sie mögen ihm doch folgen. Das sah so aus: kurz blieb er stehen, drehte sich, machte ein paar Schritte einen sandigen Pfad hinein, kam wieder zurück, blieb kurz stehen. Das wiederholte er ein paar Mal. Eine seltsame Begegnung. Die Frau entschied spontan, seinen einladenden Gesten zu folgen. Denn schließlich war ja Weihnachten und sie suchten eine Herberge. Wenn die Weisen aus dem Morgenland in der Weihnachtsgeschichte sich von einem Stern leiten ließen, warum sollten sie sich nicht von einem Hund leiten lassen? Wo sollten sie sonst auch hin? Als Fremde kannten sie nicht die Gefahren der Nacht, die ihnen begegnen könnten.
Es war nicht so einfach für sie, auf dem engen sandigen Trampelpfad durch hohes Gras und Gebüsch, das da und dort an ihren Packtaschen zerrte, das Tempo des Hundes zu halten. Doch dieser war aufmerksam, blieb immer wieder stehen, schaute sich um und vergewisserte sich, dass die Menschen ihm auch folgten. Nach ungewissen Minuten sahen die Reisenden durch die Bäume Behausungen und erreichten einen Ort, der sich bald als das von ihnen gesuchte Touristencamp herausstellte. Dort bezogen die beiden Radreisenden für einige Tage eine Hütte.
Der Aufbruch
Bis zum letzten Tag schien der Hund sich nicht mehr für sie zu interessieren. Wenn sie ihn sahen, hielt er sich bei einer Hündin mit ihren Jungen auf, die auf dem Gelände des Camps lebten. Am letzten Abend ihres Aufenthalts trafen sie Vorbereitungen, ihre Reise fortzusetzen. Offenbar hatte er ihre Geschäftigkeit bemerkt und wich von da ab nicht mehr von ihrer Seite. Sogar als die Nacht anbrach, legte er sich quer vor den Eingang ihrer Hütte, als müsse er sie bewachen.
Am frühen Morgen des kommenden Tages folgte er den Radreisenden bei ihrer Abreise, als gehöre er schon immer zu ihnen. Sie dachten zunächst, dass er sie nur hinaus begleiten wollte, wie er es hinein ja schon getan hatte. Am Ortseingang von Lamin Koto, dem nahegelegenen Dorf an der Straße und dann wieder am Ortsausgang meinten sie, nun bliebe er wirklich zurück, gehöre er doch dorthin. Als sie gewahr wurden, dass er ihnen weiter folgen wollte, wurden sie unsicher. Sie entschieden sich, den Hund zu ignorieren, konnten sie sich doch nicht vorstellen, dass er die weite Strecke, die sie noch vor sich hatten, auf seinen Hundepfoten zurücklegen konnte. Und dazu ermuntern wollten sie ihn auf keinen Fall. Denn wie sollten sie ihn auch versorgen, sich um ihn kümmern, wie er sich um sie kümmerte? Hundefutter, das es in Deutschland in jedem Supermarkt im Überfluss gab, war in Gambia unbekannt. Hunde wurden hier auch nicht als enger Freund des Menschen gehalten. Hunde waren höchsten geduldet, doch oft wurden sie mit Füßen getreten und verjagt. Abseits der Dörfer mussten sie selbst nach Fressbarem suchen.
Die beiden Radreisenden waren also nicht auf die Bedürfnisse eines Hundes vorbereitet. Da sie in Gambia wieder in eine Stadt zurückkehren und danach auf dem Luftweg nach Deutschland verlassen würden, wollten und konnten sie den Hund auch nicht an sich binden. Nach einigen Kilometern, die der Hund hinter ihnen her getrabt war, begannen sie sich Sorgen zu machen. Denn er wirkte schon recht erschöpft. Was tun? P. bot Ihm wenigstens von ihrem trockenen Tapalapa, dem typischen Weißbrot, wie es in dieser Gegend gebacken wurde, an. Doch der Hund lehnte ab, warum auch immer. Auch ein Stück Banane von ihrem Energieproviant rührte er nicht an. Selbst als sie an Stellen, wo Flussarme an die Piste heranreichten, anhielten, machte er keine Anstalten, dorthin zu laufen, um zu trinken. So konnte es nicht weitergehen. Deshalb entschied B., den Hund, der schon kräftig hechelte, zum Wasser zu locken. Da wurde der Hund unruhig. Nervös drehte er sich auf dem kurzen Weg abseits der Piste immer wieder zur wartenden P. um, als habe er Angst, sie würde ohne sie weiterfahren. Nur kurz schlabberte er an dem Tümpel von dem Nass, um schnell wieder umzukehren.
Mungo und das Denkmal
An diesem Tag gaben sie dem Hund den Namen Mungo. Das hatte folgende Bewandtnis: Auf ihrem weiteren Weg wollten sie ein Denkmal suchen, das 1930 an einem Ort am Gambiafluss für einen Mann namens Mungo Park errichtet worden war. Der Engländer Mungo Park war als Afrikaforscher in die europäische Geschichte eingegangen. Im 19.Jahrhundert war er von der African Association beauftragt worden, über den Gambiafluss einen Handelsweg zum Niger zu finden. Das Denkmal, von dem die beiden Radreisenden gehört hatten, sollte sich hier irgendwo im Busch am Rande des Flusses befinden. Es gab keinen Hinweis, keine Wegweiser an der Piste auf der Northbank, auf der sie sich voran mühten, die sie dorthin führen konnten. Der Ort war auf einer Karte verzeichnet, aber welchem der sandigen Pfade sollten sie folgen? Nach langem Suchen und etwas Glück standen sie inmitten des Nichts vor einem schmucklosen Obelisken. Das war das Denkmal, wie sie der verwitterten Inschrift entnehmen konnten. Ein Überbleibsel des Kolonialismus, ein merkwürdiger Ort, der in seiner Art so gar nicht hierher paßte.
Sie fuhren weiter, um der Empfehlung ihres Freundes Jahe Susso, einem Griot aus Bakau, für ein Nachtlager in einem Dorf folgen. Dieses sollte sich auf ihrem Weg befinden. Sie mussten es noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Mungo trabte hinter ihnen her. Hier konnte er ihnen keinen Weg weisen. Den mussten die beiden Radreisenden schon selber finden. Heute könnten sie nicht mehr so genau erzählen, wie ihnen das gelang. Sie erinnern sich nur an einen Fußpfad, der sich neben der Piste im Busch öffnete und dort von vier mächtigen Baobab-Bäumen, wie zu einem Tor formiert, flankiert wurde. Sie durchquerten das kleine Dorf Diabugu und erreichten einen Marktplatz, der halb verlassen dalag. Zu dieser Zeit war Ramadan, der islamische Fastenmonat, für Reisende eine ziemlich trostlose Zeit. Das öffentliche Leben ruhte tagsüber. Schon auf der Reise bis hierher war es für sie nicht einfach gewesen, sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Allenthalben sah es so spärlich aus, wie auf diesem Markt. Sie fanden dort noch eine Händlerin vor, die ihnen ein gekochtes Ei verkaufte und den Weg zu dem Ort weisen konnte, den sie suchten. Dieser führte direkt über die Müllkippe des Weilers. Dahinter begann ein sandiger Weg. Dort wollten sie das Ei pellen, um es dem Hund zu fressen zu geben. Nur war es nicht gekocht, sondern noch roh. Mungo war’s egal, er schlabberte den flüssigen Inhalt genüßlich weg. Dann schoben die Reisenden ihre Fahrräder weiter über einen beschwerlichen Weg mit losem Untergrund. Rechts und links ragten hohe Gräser in den Himmel. So hatten sie keine Möglichkeit, sich in der Landschaft zu orientieren.
Tiefschlaf
Nach geraumer Zeit erreichten sie in der Dämmerung einen einsam gelegenen Compound, ein Gehöft bestehend aus mehreren Gebäuden. Einige seiner Bewohner*innen hatten die Fremden schon bemerkt und beobachteten sie und den ihnen folgenden Hund mißtrauisch und gleichzeitig neugierig. Die beiden weißen Menschen nannten den Namen des Griots aus Bakau, der hier gut bekannt sein sollte und auf dessen Empfehlung sie hierher gekommen wären. Ein Schulkind übersetzte ihre englisch gesprochenen Worte in die lokale Sprache. Doch niemand in der Runde konnte damit etwas anfangen. Und der Herr des Hauses, der es wissen könnte, war heute nicht anwesend. Er weilte gerade dort, wo die beiden gestartet waren: in Bakau. Er war normalerweise der Mensch, der eine Entscheidung treffen konnte. So zogen sich die Verhandlungen über ein Dach über dem Kopf für die kommende Nacht hin. Endlich hatten die Bewohner*innen einen Entschluss gefaßt und wiesen ihnen ein metallenes Bettgestell im Haus als Nachtlager zu. P. und B. stellten ihre Packtaschen und Fahrräder davor und breiteten die Schlafsäcke auf dem kargen Nachtlager aus. Mungo, eigentlich nach draußen verwiesen, hatte sich hereingeschlichen und schlief umgehend zwischen den Packtaschen ein. Alle hatten begriffen, dass es unmöglich war, ihn abzuweisen. Er war tagsüber bestimmt über 30 Kilometer gelaufen.
Die beiden Reisenden versuchten auch zu schlafen, anfangs beäugt von dem ein oder anderen Kind. Auch die Geräusche der Nacht störten immer wieder ihre Ruhe. Stimmen im Haus, das näherkommende Grollen eines Gewitters, die lauten Regentropfen auf dem Blechdach. Vor dem Haus tobten Ziegen und stießen immer wieder gegen blecherne Gegenstände. Müde und zerschlagen standen die Radreisenden im ersten Morgengrauen auf. Sie hörten schon wieder Donnergrollen und beeilten sich, um noch vor einem möglichen Gewitter mit eventuell fallendem Regen die sandigen Wege zum und aus dem Dorf hinter sich zu bringen. Mungo schlief noch, sie mussten ihn wecken. Sie waren überrascht, auf den Packtaschen an ihren Fahrrädern die Hinterlassenschaften von Ratten zu finden. Wie tief mußte der erschöpfte Mungo geschlafen haben, dass sich die Ratten vor seiner Nase tummeln konnten, ohne ihn zu wecken?
Beharrlichkeit
Sie erreichten glücklich die Northbank Road, heute eine befestigte Straße, vor mehr als zwanzig Jahren noch eine unbefestigte Piste. Mungo folgte ihnen wieder. Er dauerte sie. Wie hielt er das aus? Was fand er an ihnen? Zur Mittagszeit sahen sie kurz vor der Fähre über den Fluss nach Basse Santa Su am Straßenrand das Tor zu einem Restaurant. P. und B. entschieden, eine Pause einzulegen. Der Wächter gab ihnen mit ihren Fahrrädern den Weg durch das Tor auf das eingezäunte Gelände frei. Eigentlich sei hier geschlossen. Doch sie hätten Glück. Eine angekündigte Reisegruppe hatte zum Essen reserviert. Mungo jedoch blieb wieder einmal der Eintritt verwehrt, er musste draußen bleiben, ob er wollte oder nicht. Der Wächter verscheuchte ihn rabiat. Kurz darauf traf ein Touristenbus aus dem Jang Jang Burreh Camp ein. Die Reisegruppe verteilte sich abseits an Tischen unter schattigen Bäumen am Rande des Flusses. Die beiden Radreisenden saßen noch nicht lange an ihrem Tisch und hatten gerade ein Essen bestellt, als Mungo angetrottet kam. Er legte sich unter den Tisch, an dem sie saßen, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Er war nicht gewillt, von ihrer Seite zu weichen, darin blieb er beharrlich. Auch die Torwache erhob keinen Einspruch mehr. Wo Mungo ein Schlupfloch durch den Zaun auf das Gelände des Restaurants gefunden hatte, blieb sein Geheimnis. P. trat an den Fahrer des Touristenbusses heran und bat diesen, den Hund zurück zum Jang Jang Burreh Camp mitzunehmen. Der Fahrer ließ sich jedoch nicht erweichen. Er kannte zwar den Hund. Dieser gehöre jedoch nicht zu der Hündin mit den Welpen im Camp. Seine Vermutung war, dass der Hund auf weiße Menschen geprägt sei. Deswegen wäre er ihnen gefolgt. Er habe in der Vergangenheit wohl bessere Erfahrungen mit weißen Touristen als mit schwarzen Menschen gemacht.
Als B. und P. nach dem Essen aufbrachen, schlief Mungo tief und fest. Sie nutzten diese Gelegenheit, unbemerkt von ihm das Gelände zu verlassen. In der heimlichen Hoffnung, dass die anderen weißen Touristen sich seiner erbarmten und ihn mit sich zurück nehmen würden. Der Wächter am Tor jedoch bemerkte ihren Versuch, weckte den Hund und schob ihn durch das Tor nach draußen. So folgte Mungo ihnen weiter bis zur nahen Fähre über den Gambiafluss. Dort fragte der Fährmann, ob das ihr Hund sei. Es klang so, als hätten Hunde auf seinem Kahn nichts zu suchen. Sie verneinten und versuchten zu erklären, dass ihnen dieser Hund aus freien Stücken folgen würde. Am Ende setze sich Mungo wieder durch, schlich sich mit auf den rostigen Pott, geduldet oder nicht, und wurde mit seinen adoptierten Reisenden übergesetzt.
Erschöpfung
So kamen die drei Reisenden nach Basse Santa Su, fanden ein Hotel und entschieden, einige Tage zu bleiben, bevor sie die Rückfahrt nach Bakau antreten wollten. Es war nicht einfach, Mungo mit auf das Hotelgrundstück zu nehmen. Da gab es bereits drei Hunde des Hauses, die den Rüden Mungo als Konkurrenz ansehen mussten. Der Hotelchef hatte arge Befürchtungen, dass seine Wachhunde Mungo nicht dulden würden. Dieser jedoch ließ sich wieder nicht abweisen, die Hunde klärten ihr Verhältnis kurz und knapp über eine ordentliche Kläfferei und ließen anschließend voneinander. Da sich das gebuchte Zimmer ebenerdig in einer Art Bungalow befand, wiesen die neuen Hotelgäste ihrem völlig erschöpften Begleiter den Platz draußen vor der Zimmertür bei ihren Fahrrädern zu. Sie hatten sich seine Pfoten angeschaut, die nach den sechzig Kilometern dieses Tages schon wund gelaufen waren. So war es nicht erstaunlich, dass er seinen Wächterplatz, erschöpft wie er war, nicht verließ, als sie am folgenden Tag in den Ort gingen.
Die Chance
Basse Santa Su erwies sich als eine ungewöhnlich geschäftige afrikanische Kleinstadt, ungewöhnlich auch für den Fastenmonat Ramadan. Überall wurde gesägt, geschliffen, montiert, repariert, geschraubt und gehämmert. In einem kleinen privaten Imbiss, der Fastenzeit wegen hinter einem Vorhang verborgen, bestellten sich P. und B. eine einfache Mahlzeit. Zwei Jungs kümmerten sich umgehend, alles zur Zufriedenheit ihrer Gäste zuzubereiten. Selbst auf dem Markt waren Verkaufsstände geöffnet. Die zwei weißen Menschen stellten sich beim Fleischer an, dort, wo die frisch geschlachteten und zerlegten Fleischstücke in der Mittagshitze feilgeboten wurden und viele Fliegen anlockten. Sie erstanden ein kleines fleischiges Knochenstück. Dass es für einen Hund gedacht war, sagten sie nicht. Das wäre bei den Umstehenden auf völliges Unverständnis gestoßen. Gerade als sie Mungo auf der Straße vor dem Hotel mit dem Leckerbissen füttern wollten, kamen drei Jungen im Schulalter auf sie zu und fragten, ob das ihr Hund wäre. P. und B. verneinten. So baten die Jungen, den Hund mitnehmen zu dürfen. Den beiden fiel ein Stein vom Herzen. Könnten sie auf diese Weise doch die unfreiwillige Verantwortung für das Tier los werden. Sie willigten ein und gaben den Jungs den Knochen als Lockmittel für den Hund mit.
Der Verteidiger
Es dauerte nur wenige Minuten und Mungo erschien wieder, als wäre er nie weg gewesen. Beim Mittagessen im Hotel legte er sich unaufgefordert zu ihnen an den Tisch, als wäre er ihr Wachhund. Und so benahm er sich auch. Er, der bisher so ruhig, friedlich und duldsam gewesen war, wurde plötzlich unruhig, knurrte und sprang auf. An einem der Nebentische war einer der Hotelhunde aufgetaucht. Mungo fletschte fürchterlich die Zähne und zeigte ein gänzlich häßliches Hundegesicht. B., aus einer Angst heraus, Mungo würde gleich auf den vermeintlichen Konkurrenten losgehen, packte ihn kräftig im Nackenfell. So konnte er ihn zurückhalten, bis er sich langsam beruhigte. Eben noch fuchsteufelswild, drehte er sich lobheischend zu seiner „Herrschaft“ am Tisch um. Als wollte er ausdrücken „Hab ich euch nicht gut verteidigt, wie es sich für euren Hund gehört?“ B. war ganz erschrocken von seiner spontanen Reaktion, den ihm doch eigentlich fremden Hund so schnell und heftig gepackt zu haben. Das hätte auch ganz anders ausgehen können!
Gute Straßen
Am nächsten Tag dann ging alles ganz schnell. Die beiden Radreisenden waren früh aufgebrochen. Sie wollten auf der südlichen Seite des Flusses in Etappen nach Bakau zurückfahren. Der Hund lief wieder hinterher. Doch nicht lange. Die Southbank Road war gut ausgebaut. Froh, endlich die schweren Pisten hinter sich gelassen zu haben, pedalierten die beiden Touristen flott und kamen auf glattem Teer mit ihren Rädern gut voran. Als es einige Kilometer hügelabwärts ging, konnte Mungo das Tempo nicht mehr mitgehen. Sie verloren ihn aus den Augen. Als sie eine halbe Stunde später vor einem Dorf von einem unfreundlichen Polizeiposten aufgehalten wurden, war ihr Begleiter der letzten Tage verschwunden. Während der langen Diskussion mit der mürrischen Obrigkeit über die Richtigkeit ihrer Papiere und Rechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes in Gambia, war keine Zeit, Gedanken an den Hund zu verschwenden. Nach dem unangenehmen Hin und Her bekamen sie endlich freie Weiterfahrt. Mungo war immer noch nicht zu sehen. Sie konnten nicht auf ihn warten und setzten ihre Fahrt fort.
Der Wunsch nach Mungo
Als sie an einem der folgenden Reisetage an einem Platz bei Pakali Ba übernachteten, vermissten sie den Hund, den sie nie haben wollten und dem sie keine Zukunft geben konnten. Der sie dennoch tagelang begleitet hatte, als gehörten sie zusammen. Der Platz für das Nachtlager, das sie fanden, erwies sich als sehr abgelegen. Von drei Hütten auf dem verwilderten Areal war eine verfallen und eine unbewohnbar. Die dritte wurde ihnen von einem Jungen aus dem weiter entfernten Dorf im Auftrag der abwesenden weißen Besitzerin aufgeschlossen. Die Hütte war spärlich hergerichtet. Außer zwei einfachen Bettgestellen gab es nichts. Immerhin fand sich einige Schritte entfernt im Freien unter einem Baum frei einsehbar ein nutzbares Campingklo. Es gab einen ordentlich gebauten Brunnen. Sein Wasser war jedoch zum Trinken ungeeignet. Nach Einbruch der Dunkelheit begannen irgendwo gleich in der Nähe Geräusche, die sie nicht zuordnen konnten. Diese waren die ganze Nacht über immer mal wieder zu hören, mal lauter, mal leiser. Sie fühlten sich unsicher, mochten aber auch nicht die Hütte verlassen, um nach dem Rechten zu schauen. Wie wünschten sie sich in diesen Stunden Mungo herbei! Aber da war kein Mungo. Nach einer unruhigen Nacht, als das Tageslicht die Szenerie an dem Ort erhellte, konnten sie die Ursache der nächtlichen Ruhestörung ausmachen. Trotz Müdigkeit konnten sie sich ein Grinsen nicht verkneifen: Ein Entenpaar hatte die benachbarte unbewohnbare Hütte okkupiert und nachts mit dort befindlichen beweglichen Gegenständen randaliert.
So fuhren sie weiter am Fluss entlang, der dem Atlantik zustrebte. Mungo war zwar verschwunden, sie dachten aber noch lange an diese ungewöhnliche Begegnung zurück. Und wenn seine Pfoten wieder verheilt waren, wird er sich den nächsten weißen Menschen, die ihm begegnet waren, angeschlossen haben. Das wünschten sie ihm.
Diese Geschichte hat sich so zugetragen. Aus dieser Zeit gäbe es noch mehr zu erzählen. Sie konzentriert sich aber aus gegebenem Anlass auf die Geschehnisse rund um Mungo, den Hund, der uns Weihnachten zu einer Unterkunft führte. Die Bilder und O-Töne habe ich auf dieser von uns, Bernhard und Petra, selbstorganisierten Reise aufgenommen. Nicht alle, aber einige konnte ich dank meines Archivs den Zeiten und Orten, an denen sie in der Erzählung auftauchen, zuordnen. Die Gegebenheiten vor Ort haben sich seit 1999 so verändert, dass heute nicht mehr alle Plätze in der Weise vorgefunden werden könnten, wie wir sie aus der Erinnerung heraus beschreiben. Wir hoffen, Yusufa Kouyate, den wir über die Jahre leider aus den Augen verloren haben, hat nichts gegen seinen „Liveauftritt“ auf dieser Seite. Danke an unsere Nachbarin M. für Vorschläge zu Text und Geschichte.
Der „Alte Mann am Fluss“ wünscht allen erholsame und angenehme Feiertage und ein gesundes und friedliches neues Jahr. Kommt gut rüber. 2023 geht die Reise weiter.