#12 Von der Havel zur Elbe

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Die 12.Etappe findet vom 14. bis 18.März 2024 in Brandenburg und Sachsen-Anhalt statt. Ich orientiere mich von der Mündung der Nuthe an am weiteren Verlauf der Havel und ihren Seen. Diese verlasse ich hinter Brandenburg/Havel und kehre ab Wusterwitz über den Elbe-Havel-Kanal zurück zur Elbe. Von Potsdam aus gelange ich so über Ketzin, Brandenburg/Havel und Grieben nach Tangerhütte. Ich lege dabei insgesamt 165 km mit dem Fahrrad zurück und bin weiterhin durch das norddeutsche Tiefland unterwegs. Wer sich meine Etappe in der ursprünglichen vollständigen Planung anschauen will, findet hier den Link zur Route (ohne meine Abstecher, Änderungen und Umwege) auf komoot. (Zur Routenkarte müsst ihr dort etwas nach unten scrollen. Die auf dieser sich öffnenden Seite befindlichen Fotos und Texte stammen von anderen Autor*innen.)

Durch den Winter

Den  Winter über habe ich mich gut auf das neue Jahr und seine Herausforderungen vorbereitet. Gehe regelmäßig auf sportliche Weise so schnell ich eben kann und mache ordentlich Meter. Diese Art zu gehen wird neudeutsch auch „walking“ genannt. Dabei baue ich sogar ein paar Joggingeinheiten ein. Ganz bei mir in der Nähe im hannoverschen Georgengarten mit seiner zwei Kilometer langen Allee und seinen geschwungene Wegen finde ich dazu beste Gelegenheiten vor. Zuhause ergänzen regelmäßige gymnastische Übungen meine Fitness. Ich fühle mich, wenn ich von den lange, viel zu lange fehlenden Sonnenstunden des winterlichen ‚Grau in Grau‘ einmal absehe, altersgemäß gut in Schuss. Doch gleich zu Jahresbeginn fange ich mir einen leichten Hexenschuss ein. Den überwinde ich zwar mit einigen zusätzlichen gymnastischen Übungseinheiten recht schnell. Doch irgendwie ist ab da der Wurm drin. 

Störungen

Inwendig plagen mich nacheinander zwei Infekte mit entsprechend ärztlich verordneten medikamentösen Therapien. Parallel dazu zwingt mich der Streik der GDL, meine gebuchten Fahrten und in der Folge meine selbst erstellten Notfallfahrpläne mehrfach zu überarbeiten. Das bekomme ich zunächst gut hin. Das Reisezentrum des hannoverschen Hauptbahnhofs leistet mir dazu gute Dienste. Dienste, die mir die Servicenummer der Bahn telefonisch zuvor mehrfach nicht anbieten kann. Meine Beschwerde über unzureichende Auskünfte und abgebrochene Gespräche bringt mir zumindest einen Gutschein ein. Alles zusammen kostet unnötig Zeit und Nerven. Den Beginn meiner Etappe am Berliner Hauptbahnhof muss ich letztlich streichen. Der anhaltende Streit der GDL mit der DB läßt die Fahrt dorthin nicht zu. Die Unterkunft in Potsdam muss ich daraufhin stornieren. Ich verpasse damit in Berlin den geplanten Besuch der Mündung der Panke in die Spree und die der Spree in die Havel. Mein Aufenthalt in Potsdam mit einem geplanten Besuch des ‚Wissenschaftspark Albert Einstein’ mit seinen Instituten zur Erforschung von Himmel und Erde, Klima und Wetter fällt damit auch ins Wasser.

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Mündung der Nuthe in die Havel im Potsdamer Nuthepark

Verspätete Anreise

Die Folge: Zwei Tage später als geplant starte ich meine Etappe gleich an der Mündung der Nuthe in die Havel, ganz in der Nähe des Potsdamer Hauptbahnhofs. So richtig fit fühlt sich mein Körper noch nicht an. Ich fahre genervt los. Das kann ja nicht gut gehen. Und siehe da, kurz nach dem Start meint mein Navi, mich wieder einmal ärgern zu müssen. Er denkt nicht daran, meine Route zu laden und friert kurz darauf komplett ein. Meine Laune sinkt. Fürderhin muss ich an diesem Tag regelmäßig mein Smartphone für die weitere Wegeführung bemühen. Das ist lästig, weil es wiederum die Wahrnehmung der an mir vorbeiziehenden Landschaft einschränkt. Gefrustet verfahre ich mich auch gleich zweimal. 

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Seilfähre Tussy II bei Caputh

Da habe ich die Seilfähre von Caputh, die‚Tussy II’, schon längst hinter mir gelassen und fahre durch überwiegend städtisches Gebiet an viel befahrenen Straßen durch Werder. Das hatte ich mir in meiner Phantasie auch anders vorgestellt. Zudem meine ich, ordentlich Gummi machen zu müssen. Denn die nächste Fähre über die Havel will ich noch erreichen, bevor der diensthabende Fährmann in seinen wohlverdienten Feierabend geht. Auf der gegenüberliegenden Uferseite in Ketzin wartet nämlich das gebuchte Nachtquartier auf mich. Kurz vor dem Fähranleger, so etwa ab Phoeben mit seinen weiten Pferdeweiden, Pferdehotels und Reitanlagen, erreiche ich am Abend eine vom Fluss geprägte Landschaft. Der Weg in Sichtweite der Havel ist ausgezeichnet zu fahren. Nach kurzer Zeit komme ich an. Die Fähre nach Ketzin ist noch in Betrieb. Ich atme auf und schöpfe ein wenig Hoffnung für die nächsten Tage.

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Überschwemmte Wiesen an der Havel gegenüber Ketzin

Die Havel in Sicht

Wieder zurück mit der Fähre über die Havel. Mein Navi tut wieder seine Arbeit. Blauer Himmel, Sonne und ein kalter Märzmorgen sind die äußeren Bedingungen des folgenden Tages. Die von mir gewählte Route ist offenbar identisch mit dem Havelradweg. Sie läßt die Reifen meines Rades gut rollen. In regelmäßigen Abständen findet sich ein Rastplatz. Und immer ist die Havel sichtbar oder ganz in der Nähe. Spuren des Weihnachtshochwassers mit den langandauernden Regentagen bis in den Januar hinein spiegeln die Sonne wieder. Die immer noch zu feuchten weiten Wiesen begleiten rechts und links meinen Weg, bevölkert mit allerlei schwimmendem Federvieh. Ich kann mir vorstellen, dass jegliches Wassergetier mit oder ohne Flossen an Füßen oder anderswo mit diesen Bedingungen sehr zufrieden sein dürfte. 

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An den Deetzer Erdelöchern

Kurz hinter Deetz passiere ich die Deetzer Erdelöcher, wassergefüllte Tongruben, ein mittlerweile der Natur überlassenes Relikt der früheren Ziegelindustrie. Eigentlich ein schönes Fleckchen Erde zum Verweilen. Eigentlich. Doch ich fahre weiter. Auch den geplanten Aufstieg zum Aussichtsturm auf dem benachbarten Götzer Berg lasse ich links liegen. Typisch für meinen desolaten Zustand auf dieser Etappe. Ärgerlich, aber nicht zu ändern. Für die geneigten LeserInnen empfehle ich daher einen schönen Text. Der findet sich im Internet auf dem Blog des „Wegesammlers“, der dieses Fleckchen Erde aufmerksam durchstreift hat.

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Am ehem. Dominikanerkloster St.Pauli in Brandenburg/Havel

Nicht gefunden

Mein Zustand bessert sich nicht. Im Gegenteil, ich schalte häufiger als sonst auf eine stärkere Unterstützung meines E-Motors. Nerv, nerv, nerv. Was ist mit mir? Nicht wirklich fit mit gedimmtem Forscherdrang komme ich in Brandenburg an der Havel an, als sich eine dunkle Wolkenwand auf die Stadt zuschiebt und mich mit heftigen Windböen ärgern will. Ich flüchte erst einmal in das gemütliche Café ‚Pauline’ von St.Pauli. Für Fußballfans führt der Name in die Irre. Mit dem aktuellen Hamburger Tabellenführer der zweiten Liga hat das nichts zu tun. Es ist ein in Teilen wiederaufgebautes und restauriertes Dominikanerkloster aus dem 13./14.Jahrhundert. Die vorhandenen Gebäude mit einem großen leeren Kirchenschiff werden heute weltlich für Veranstaltungen genutzt und bieten einem modernen archäologischen Museum Platz. Im ‚Pauline’ ordere ich erst einmal einen starken Kaffee und ein kräftiges Stück Kuchen. Aber komme trotzdem nicht zur Ruhe. Im Gegenteil. Mein Fahrrad mit sämtlichen Gepäck steht unabgeschlossen vor der Tür. Mein Schloss ist verschwunden. Jedenfalls war es nicht am Ort, an dem ich es für die Reise gewöhnlich fest vertäue. Ja, wie dusselig bin ich denn? Im Quartier, beim Abpacken finde ich es dann verwundert wieder. Unbefestigt. Am falschen Ort, zwischen die Gepäcktaschen geklemmt. Dass es überhaupt noch da ist und nicht unterwegs verloren ging, ist reine Glücksache. Ich würde lieber das Mäntelchen des Schweigens darüber decken. Auch über den Verlust meines wichtigen USB-Steckers für Smartphone und Navi. Der steckt noch in der Steckdose der letzten Unterkunft. Im Nachhinein passt das alles zu einer verhunzten Etappe. 

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Am Triebwerkskanal (Näthewinde) in Brandenburg/Havel

Von meiner Pension aus würde ich die Stadt mit den vielen Wasserläufen, alle gespeist oder in Kontakt mit der Havel, gerne per Öffis erkunden, doch das örtliche System will sich mir nicht so recht erschließen. Vielleicht hätte ich im Vorhinein genauer recherchieren sollen. Ich scheue mich, in dem regnerischen und stürmischen Wetter die hier wohl üblichen langen Wartezeiten an den meist unbedachten Haltestellen zu verbringen. So flüchte ich mich wieder in das Gebäude von St.Pauli, schlendere diesmal durch das Museum und genieße eine spannende 360°-Filmprojektion zum Leben der Menschen in der Brandenburger Landschaft seit der Steinzeit bis zur Gegenwart. Draußen regnet und stürmt es weiter. Also statte ich dem engen Stadtmuseum mit einer gedrängten Loriot-Ausstellung noch einen Besuch ab. Auf dem Weg dorthin hatte ich während eines Regenschauers auch eine Loriots Phantasie entsprungene Waldmops-Figur entdeckt. Von diesen Plastiken sollen in der Heimatstadt des Humoristen einige aufgestellt sein. Die eine, die ich sah, finde ich nicht wieder. Von den anderen begegnet mir auf einem kurzen abendlichen Spaziergang nach Ende des nassen Wetters keine mehr. Es ist wie es ist. Ich verlasse die Stadt am nächsten Tag, ohne einen berührenden Zugang zu ihr bekommen zu haben. Schade. 

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Am Elbe-Havel-Kanal

Reiseabbruch

Der Rest ist schnell erzählt. Ich verlasse die Stadt durch die Walzwerksiedlung, die ein Stück Bau- und Industriekultur der 30er Jahre verkörpert. Fahre vorbei am Industriemuseum, untergebracht im einst einst größten Stahlwerk der DDR. Wegen Einsturzgefahr ist es jedoch zur Zeit geschlossen. Dieses Museum stand eigentlich ganz oben auf meiner Besuchsliste. Fahre durch Kirchmöser, einem traditionsreichen Industriestandort mit seinen Gleis- und Bahntechnik-Werken und zahlreichen Industriedenkmälern. Kurz darauf erreiche ich an der Schleuse Wusterwitz den Elbe-Havel-Kanal. Das unbeladene Gütermotorschiff ‚Stadt Fürth’, gemeldet in Winsen/Luhe, verläßt gerade eine Schleusenkammer in Richtung Westen. Ich folge seinem rhythmischen Dieselmotorgeräusch auf befestigtem, den Kanal strikt geradeaus begleitenden Weg bis Genthin, bevor ich abbiege, um die Elbfähre Ferchland – Grieben anzupeilen. Vorher überschreite ich noch an unbezeichnetem Ort die Grenze von Brandenburg zu Sachsen-Anhalt, die quer durch die Bundeswasserstraße verläuft. 

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Motorfähre zwischen Ferchland und Grieben

Eigentlich bis Magdeburg geplant, breche ich meine Reise am folgenden Morgen in Grieben aus gesundheitlichen Gründen ab. Es ist eben so: Wo einmal der Wurm drin ist, ist eben der Wurm drin. In Tangerhütte steige ich in die nächste Regionalbahn und kehre über Magdeburg und Braunschweig nach Hannover zurück. Jetzt muss ich erst einmal zum Arzt und dann wieder richtig fit werden. Bis zur nächsten Etappe ist es nicht mehr lange hin. 

Danksagung: Meinen kleinen Reiseesel, das kleine Kuscheltier, meinen langjährigen Begleiter namens ‚Easy Living‘, hatte ich in der Eile des Abbruchs meiner Reise am letzten Morgen in meinem Zimmer aus Vergesslichkeit zurückgelassen. Er wird mir später als unbegleitetes Jungtier per Post unbeschadet aus Grieben nachgeschickt. Seine Geschichte habe ich an anderer Stelle im Blog ja schon ausführlich geschildert. Auch mein Multi-USB-Stecker erhalte ich aus Ketzin wieder. Danke an die Pensionswirtinnen, die mir zu alle dem äußerst nette Mails zusenden. Ein Lob auf lokale Pensionen. Über alle Etappen hinweg habe ich diese ortstypischen Unterkünfte mit ihrer persönlichen Atmosphäre am liebsten gebucht und empfehle sie auf Nachfrage gerne weiter. 

Von mir verfasst im April 2024. Eindrücke in bewegten Bildern und Tonaufnahmen von unterwegs sind zunächst einmal zurückgestellt. Es grüßt Euer „Alter Mann am Fluss“. Drückt mir gerne die Daumen für gute Gesundheit und ein besseres Gelingen der nächsten Etappe.