#2 Wo Flüsse beginnen.

8 Blick In Die Seeve 8

I.

Bevor meine Reise beginnt, erzähle von einem dieser unzähligen Orte auf dem Globus, wo die Flüsse beginnen. Es ist noch Nacht, als ich aufbreche. Ich möchte zum Dämmerungsbeginn auf dem Pferdekopf, dem Hügel über dem Büsenbach, stehen. Jetzt, Mitte April, beginnt um diese Zeit das große Konzert der Vogelmänner. Die „Vogeluhr“ gibt die Reihenfolge vor: Rotschwänzchen, Singdrosseln, Rotkehlchen, Amseln und so fort. Aber nicht nur nacheinander. Ausdauernd kommt eine Stimme nach der anderen dazu, bis die gesamte Partitur erklingt. Diese Sinfonie ist Kampfgesang und Liebeslied zugleich. Jedes Lied markiert das Revier – komm mir nicht zu nahe – und wirbt zugleich um ein Weibchen – komm her zu mir, hier ist es gut. Es ist eben Frühling. Um diese frühe Morgenstunde ist in diesem sanften Tal noch kein Mensch unterwegs. So kann ich ungestört Tonaufnahmen machen und fotografieren.

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Morgenstimmung im Büsenbachtal

II.

Der Vogelchor ist aber nicht der Grund, warum ich in dieses landschaftliche Kleinod gekommen bin. Ich bin auf der Suche nach der Quelle des Büsenbachs, der sich durch dieses kleine Tal schlängelt. Es liegt in der Nähe der Bahnstation „Büsenbachtal“ kurz vor Buchholz i. d. Nordheide. Mit dem Fahrrad bin ich von unserem kleinen Wohnwagengrundstück auf dem „Campingplatz Nordheide“ in fünfzehn Minuten da. Ich kenne es schon, seit die drei jüngsten Enkel gerade mal laufen konnten. Im seichten Wasser des „Büsenbächleins“ ließ sich herrlich planschen. Selbst Krabbelkinder konnten und können hier erste Erfahrungen mit Wasser in der Natur machen und auf ihre Kinderart Spaß haben.

Das Büsenbachtal lockt nicht nur junge Familien, die in der Nähe wohnen,  sondern auch viele Touristen von weit her. Und darunter befanden sich in den letzten Monaten einige, die durch unbedachtes Handeln das Heideidyll störten. Mountainbiker und Rodler pflügten neue Pisten in die sensiblen Heideflächen, andere hinterließen Müll, zersägten Zäune, verlegten Steine, die als Uferschutz gedacht sind. Also das, was an Naturorten passiert, an denen man Naturschutz und Zugänglichkeit für Menschen in eine vernünftige Waage bringen will. Es ist das ständige Thema an allen derartigen Orten auf der Welt. Der Büsenbach fand sich damit in den Medien weit über die Lüneburger Heide hinaus wieder. Heute bin ich lange allein in der morgendlichen Ruhe, bis nach Sonnenaufgang die ersten Jogger*innen und Hundebesitzer*innen erscheinen.

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Der Büsenbach

III.

Die Quelle des Büsenbachs verbirgt sich vor meinen Augen. Auf schmalen Pfaden dem Bachlauf folgend wandere ich weit in den Wald hinein. Irgendwo verliert sich das klar fließende Wasser in einem moorartigen Gelände, licht bestanden mit Bäumen. Bin ich hier richtig? Bin ich dem richtigen Wasserlauf gefolgt? Sei es wie es sei. Ich folge dem Weg von diesem Quellmoor wieder zurück. Wo das Bächlein aus dem Wald tritt, speist es einige kleine Teiche, die miteinander in Verbindung stehen. Drumherum waren offensichtlich Landschaftsplaner (oder wer plant so etwas?) am Werk. Sitzbänke, mit schöner Blickrichtung gestellt, Wegweiser, ein Bohlensteg – alles zur Lenkung der vielen Naturliebhaber*innen. Letzte Nebelschaden ziehen sich in der aufgehenden Sonne zurück. Der Büsenbach schlängelt sich mäandernd dem Talausgang entgegen. Da und dort plätschernd, murmelnd, glucksend und über einige kleine „Staustufen“ sanft rauschend, macht er sich auf seine kurze Reise.

Und dann verschwindet er von der Bildfläche. Einfach so. Er versickert in einer lichten Heidefläche und tritt  einen Kilometer südlich wieder zu Tage. Dann hat er nur noch wenige Fließminuten und sein Wasser wird sich mit dem Flüsschen Seeve mischen. So wie andere Bäche dieses Fleckens Erde, der Steinbach, der Pulverbach, der Seppenser Bach, der Schierhorner Bach, der Reindorfer Bach. In Holm treibt das bis dahin gesammelte Wasser noch heute eine Mühlrad an. Betrieben von dem engagierten ‚Geschichts- und Museumsverein Buchholz‘ wird dort ab und an noch Mehl gemahlen. Das gut erhaltene Mahlwerk der Holmer Mühle ist an regelmäßigen Mahltagen der Öffentlichkeit zugänglich. Mehl, Brot und Zuckerkuchen wird in der Kaminstube zugunsten der Vereinskasse verkauft. Sehr empfehlenswert, ich habe alles selbst probiert. In Zeiten, als das noch ging. Vor der großen pandemischen Schließzeit.

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Die Wassermühle in Holm / Nordheide

IV.

Ringsum in der Nordheide werden noch einige Flüsse geboren. Die Este, die Oste und die Wümme. Allen werde ich – dann weit entfernt von ihren Quellen – auf meiner Reise begegnen. Alle Wasser werden Kilometer um Kilometer bis zur Nordsee reisen. Unterwegs dorthin sind sie Gäste anderer Flüsse, der Lesum, der Weser, der Elbe. Bis aus süßem Flusswasser salziges Meerwasser wird. Und wo auch immer und wann auch immer wieder verdunstet und den Weg über Regenwolken, über Versickerung und Grundwasserströme  zurück zu den Quellen findet. In das Quellmoor des Büsenbachs. Und all der anderen.

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Die Seeve bei Lüllau / Nordheide

Verfasst von mir im April 2021. Seid alle gegrüßt. Bis zum nächsten Mal. Euer ‚Alter Mann am Fluss‘.